Der Vorfilm war kurz und prägnant. Titel:
"Roadmovie", dann ein Videostandbild mit Straßengeräuschen, ein Autowrack
vor einem abgewrackten Lagergebäude. Eine Szenerie des Verfalls mit der ja
viele Filme, auch Roadmovies, kokettieren. Langsam interessieren die
Details: Steht da Smirnoff in abblätternden Lettern an der Hallenwand? Ist
das ein Daihatsu Cuore? Passiert jetzt noch was? Und dann passiert etwas:
Ein Automotor heult auf, das Wrack springt hinauf auf das Dach des
Lagergebäudes und verschwindet dort. Natürlich ist es rückwärts abgespielt,
aber durch die Spannungserzeugung durch Titel und Standbild (über eine
Minute) ist die Auflösung dann ein perfekter Effekt. Erinnert mich an den
schweizer Aktionskünstler Roman Signer.
Schultze Gets The Blues (05.April 2004)
Was wie eine (mittel-ost) deutsche Version von 'Montags in der Sonne' beginnt,
nämlich mit dem Vorruhestand dreier gestandener Bergabeiter,
wird zur Geschichte der unbeabsichtigten aber erträumten Odyssee des
Protagonisten Schultze zu Neuem, das sein Leben verändern und in
zufriedener Ruhe enden lassen wird. Aber der eigentliche Star dieses Filmes ist,
neben dem Hauptdarsteller, die ökonomische Art in der diese Geschichte
erzählt wird. Minimale Dialoge, die aber alles sagen, eine Kamera, die so
gezielt die Ausschnitte wählt, dass sie es sich leisten kann, dass das Gezeigte
auch mal ausserhalb des Bildes ist. Hier reihen sich Einstellungen
aneinander, die so ausgewogen sind wie perfekte Fotografien, ohne aufgesetzt
zu wirken. Und obwohl der Film fast dokumentarisch wirkt, ist ihm nichts
fremder als eine Handkamera (ich glaube, die einzige Kamerafahrt ist
die auf einem fahrenden Boot mit Sicht auf Schultze am Steuerrad).
Und in all
seiner oberflächlichen Kargheit ist es ein Film über (un)erfüllte Träume. Und Schultzes Traum vom amerikanischen Süden, seiner Küche und Musik, die hier nur Bilder (wie die japanische Kultur in Lost in Translation ein Bild für die unaufhebbare Isolation des Idividuums in der Welt war) für das neu zu Erfahrene fern ab von der vom Vater geerbten Schultze-Polka sind, erfüllt sich. Und die nuancenreiche Entwicklung vom am geduldigsten auf den Ältesten der drei am Ende der (letzten) Schicht Wartenden zu dem unschuldig charmanten (fast schon Frauen-) Held im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist dann schon schön märchenhaft.
Besonders schön sind auch die Momente in denen die Kamera wie ein (Reise-)Tagebuch wirkt: das "Küchen"-Stilleben im Stollen, und auch eine Reihe von Reisebegegnungen wirken wie zufällig getroffen und ob ihrer liebenswerten Merk-würdigkeit als weitere Station seiner Odyssee in den Film eingebaut. Seine Rückkehr in die Heimat ist dann sein letzter Weg, doch dem Film gelingt es auch diesem Abschied ein grinsen mit Tränen im auge abzugewinnen.
Obwohl man ja krankenkassenbilanzmotivierte Vorbehalte gegenüber stark
übergewichtigen Sympathieträgern hegen könnte, werden diese hier durch die
wunderbare Erzählweise, einer einfachen schönen universellen Geschichte (nicht ohne unterschwellige Kritik an den Lebensumständen im "Osten")und dank der Darsteller, Profis
wie Laien, mit viel lakonischem Humor gänzlich beiseite geräumt. Fast schon verdächtig, wenn man mit so einem positiven Gefühl, nicht nur dem Film gegenüber, aus dem Kino geht, auch wenn die Nikotinsüchtigen einen sofort wieder ein Stück weit in die Realität zurückholen.
lr
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