Was das Herz begehrt (09.02.2004)

-Diesmal wegen jahreszeitlich bedingter Abwesenheit leider verspätet und von jf beschrieben-

Zum Leidwesen der genervten Kritiker (im Austausch mit solchen ist es mir jedenfalls schon häufig zu Ohren gekommen) wird im Kino so oft, wie sonst nur im Märchen, davon erzählt, wie Mann und Frau zusammenfinden können, was, wie ich finde, schon langsam den Anschein der Anweisung an Drehbuchautoren macht, als Tipp für Massentauglichkeit.
Kleiner Exkurs: Die Attraktivität dieses Motivs, psychologisch verstanden, beruht auf dem Archetypus innerhalb der archetypischen Struktur der symbolischen und mythologischen „Reise des Helden“(1) . Schon Platon berichtet in seinem Dialog 'Symposion' von dem uralten Mythos, dass Männer und Frauen einstmals in mächtigen Wesen verschmolzen waren, welche von den Göttern gewaltsam getrennt wurden, nachdem sich diese Zwitterkreaturen gegen sie erhoben hatten. Der Archetypus der „Heiligen Hochzeit“ („hieros gamos“) bringt zum Ausdruck, dass die eigene Persönlichkeit erst komplett und vollständig wird in der Ergänzung durch die je andersgeschlechtlichen Anteile.
Ein Grund also dafür, warum die Menschen, die gestern rechts und links von mir saßen, ganz hingerissen auf den Film reagierten und warum ich selbst davon nicht angewidert war: okay, der Archetypus ist schuld!
Die Story ist so alt wie unspektakulär:
ER (Jack Nicholson), bereits 63, doch nichtsdestotrotz der flotte, junggebliebene Single und Macho, dealt mit Plattenlabels, Cabrios, Partys und: schönen Frauen unter 30!, die ihm aufgrund seines Charmes und sicherlich auch seines Geldes zu Füßen liegen.
SIE (Diane Keaton), 57, Theaterdramaturgin, arbeitswütig und abstinent, verklemmt und einsam, was sie hinter radikalem Feminismus und Rollkragenpullis versteckt.
Durch einen Zufall lernen sie sich kennen, und zwar gleich intensiver als gewollt, denn er bekommt einen Herzinfarkt und sie gewährt ihm den Aufenthalt zur Genesung in ihrem Wochenendhaus am Meer. An dieser Stelle begehrt sein Herz noch nach der Wiederkehr des gewohnten Junggesellenlebens mit Sex (und Viagra, denn wir nehmen alle Klischees mit!), ihres ist nach einer unglücklichen Ehe gewohnt abgeschottet gegenüber der Außenwelt.
Durch die gemeinsame Zeit lernen sie sich kennen und entdecken ihre Gemeinsamkeiten und Zuneigung füreinander, nicht nur aufgrund dessen, dass sie beide das Midlifecrisisalter schon längst überschritten haben. Jeder traut sich, sich dem anderen anzuvertrauen und hinzugeben und sich so zu ergänzen: SIE gibt IHM wahre Liebe, Herzlichkeit und Lachen – ER gibt IHR die Lebenslust, Spannung, Erotik und Frische zurück.
Da 125 Minuten jedoch noch nicht rum sind und auch der Held (hier: ER) seine archetypische Reise noch nicht abgeschlossen hat, kommt noch etwas dazwischen: ER kann ihre Gefühle nicht entsprechend erwidern, und von Monogamie hielt er ja eh nichts. So bricht ER ihr Herz und schickt SIE ins Tal der Tränen, was selbst für eine Dramaturgin zu dramatisch und langatmig durchschritten wird! An dessen Ende tritt jedoch der junge, attraktive Arzt (Keanu Reeves) als Partner in ihr Leben, genau zu dem Zeitpunkt, als ER bemerkt, dass sein Herz jetzt doch nur SIE begehrt.
Ja ja, es sieht finster aus, doch wir wären nicht in Hollywood, wenn da nicht ein Happy End vor Pariser-Eiffelturm-Kulisse bevorstände, und das war´s dann auch!
Ohne die Schauspieler wäre der Film nahezu ungenießbar für den medienkritischen Geist, zumal er thematisch doch stark an „American Beauty“ erinnert, wie ich finde! Die Unterschiedlichkeit der Lebensweisen und persönlichen Eigenschaften der Protagonisten multipliziert mit dem Nachdenklichkeitsfaktor, durch teilweise unfreiwillige und übertriebene Situationskomik evoziert, ergibt als Produkt die Erkenntnis, dass sich ganz hingeben gleichzeitig bedeutet, ganz verletzlich zu sein. Und ein moralischer Aspekt sollte wohl noch sein, zumindest zu Beginn des Films, die normativen Grenzen der gesellschaftlichen Vorstellungen, besonders bezogen auf das Alter, durchaus ignorieren zu können und nicht als Beurteilungsmaßstab zu verwenden.
Am Ende aber lief ja doch alles normkonform (altersadäquater Partner) – was für ein Kassenschlager für die entpolarisierten Konsumenten der Kulturindustrieprodukte, die sich gern von dieser Art von Fiktionalität berieseln lassen! (In der Realität nämlich dürfte es der 40jährigen Uschi schwer fallen, neben ihrem 40-Stunden-Job einen neuen Lebenspartner zu finden, der, medienkompetent wie sie selbst, mit ihr im Wochenendhaus am Meer vom Arbeits- zum Schlafzimmer emailt...)

jf

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zu(1):
Der amerikanische Mythenforscher und Literaturwissenschaftler Joseph Campbell stellt in seinem Werk „The hero with a thousand faces” fest, dass der Mythos der “Reise des Helden” der Dynamik der Psyche des Menschen entspricht, und zwar im Kern der Abfolge von: “Trennung”, “Initiation”, “Rückkehr”.

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Obwohl der Film mit einer Ode an die jŸngeren Frauen beginnt, endet er in der klassischen 'Familie, Famile Ÿber alles' Hymne, nur dass hier nicht eine eigene gegrŸndet, sondern gleich als Gro§eltern geendet wird. Zwischendurch gibt es noch einige nette, belanglose, wahre Beobachtungen zu dem Leben nach der 30,40,50. Und auch einige allgemeine Wahrheiten zu dem Bindungsproblem: Eigene Freiheit/Sicherheit im Anderen, aber nicht nur Hollywood schlie§t ja mit der sicheren Lšsung.

lr

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