KROKO (10.November.2003)



Vorher noch ein ganz kurzer: (Wieder) Knetfigurbüste mit Fotoschnipseln als Augen und Mund (die im Laufe des Films dann auch zur Mimik passend und zur Steigerung des Effekts ge/vertauscht wurden) aus der Sicht der Fotobox-Kamera. Die Fotos werden natürlich alle verdorben, weil nicht drauf gefasst oder Haare verrutscht usw. Am Ende dann totales Chaos mit Augenfoto an Stelle des Mundes oder umgekehrt... Ein wenig veraltet, weil die aktuellen, digitalen Fotoboxen ja wohl (ich hatte noch nicht das Vergnügen) den Moment und die Wahl des Fotos dem Benutzer überlassen, aber amüsant.


Obwohl in der ersten Szene, die Protagonistin kramt in ihrem Teeniezimmer ihre Schminkutensilien zusammen, um sie zu Klängen, die an 'I need Love' (was ja als Motto für den Film nicht falsch ist) von LL Cool J erinnern, anzuwenden, ein ZweierBeziehungsdrama vermutet werden konnte, wird es dann doch etwas Komplexeres (wenn es sowas gibt).

Kurz: Weddinger "Dreizehn"(irgendso'n indy-Teenieüberraschungshitfilm aus den VSvA(USA)) trifft auf Uneasy Rider (der ja grade, leider synchronisiert, auf arte lief).

Lang: Die "mega coole" RnB Schickse Julia ("Kroko") hat sich von Autoritäten und emotionalen Abhängigkeiten scheinbar gelöst. Ihre allein erziehende Mutter hat nichts zu melden, ihr Freund ist der coolste der Clique und Marlene ist mehr eine Art Pitbull ohne Leine als eine Freundin. Leute abziehen, Kaufhausdiebstähle, die übergeordnete Rolle in der Cliquenhackordnung manifestieren und der Palace(Disco) sind die Beschäftigungen im Kiez. Doch als Kroko zu 60 Sozialstunden verurteilt wird, die sie in einer Spastikerwohngemeinschaft absitzen äh ~leisten muss, fängt man an auf die Auflösung ihrer coolen creolengerahmten solariumgebräunten Maske zu warten. Nur ganz langsam bemerkt sie, dass die 'Behindies' genauso Bedürfnisse Ängste und Probleme haben wie sie, und dass sie aber im Vergleich zu ihr damit umgehen können und nicht nur verdrängen. Und so gibts dann natürlich am Ende auch für sie noch Hoffnung. (wenigstens son Happy End muss sein)
Idealisiert wie in einem amerikanischen Film -Kroko wirkt manchmal wie eine 1.80 große Version von der Jodie Foster in Taxidriver- , doch agieren fast alle Darsteller mit einen authentisch laienhaften Einschlag, der das Leben in den nicht mehr so neuen Neubauvierteln zeigt. Doch Krokos Augenauschlag oder die Sprüche in der Clique sind so perfekt, dass das Zusehen Spass macht, doch eine Szene, in der Kroko, ihr Freund und ihre Mutter an der Formulierung eines einfachen Entschuldigungsschreibens verzweifeln, wirkt zwar komisch, hinterlässt aber dann doch den bitteren Geschmack des Realismus.
Die Annäherung an die Spasties (ich weiß nicht, was der pc-Ausdruck für 'Behinderte' ist, daher benutze ich die Begriffe des Films, [fange aber gerade mit dieser Entschuldiung an, mich auf ganz dünnem Eis zu bewegen, hoffe aber mit meinen weiteren Ausführungen nicht einzubrechen, wenn doch, dann bitte meckern]) erfolgt hier ganz aus der Sicht von Kroko: Erst als kaum verbal, geschweige denn emotional verständliche Behinderte halt wahrgenommen, merkt sie zwangsläufig in den wenigen erzwungenen Stunden, dass auch die Behinderten Bedürfnisse, Wünsche, Sorgen und Probleme haben. Und sie haben sogar mehr als Kroko, denn sie drücken ihre Gefühle aus. Natürlich haben auch sie die Sorge, dass nicht immer jemand da ist der ihnen hilft, sei es emotional oder praktisch, und sie schaffen es sich zu arrangieren, vielleicht, oder weil, sie es immer viel öfter müssen. Der verwöhnten Kroko (oder auch uns) ist eigentlich alles bisher zu leicht gefallen, ihre Mutter ist zu schwach, um als Widerstand zu gelten, wirkliche (Geld)Sorgen hat sie nicht, ihr Aussehen hat bestimmt auch dafür gesorgt, dass sie sich nie um einen Kerl bemühen musste. Und so merkt sie erst als sie mit dem behinderten Thomas einen nächtlichen Streifzug macht, und dieser einen Anfall hat, dass man manchmal um etwas kämpfen muss, und auch, und besonders für die Anerkennung vor einem Selbst.

Dieser Film hat zusammengefasst soviele Ausrufezeichen und Zeigefinger, dass es eigentlich nicht schwer gewesen wäre einen drögen Integrationsschinken (Jugendliche auf der Kippe und Behinderte) daraus zu machen, doch hier wurde sorgfältig beobachtet und gezeichnet, dann wurde wohlfeil selektiert (sogar Marlene ist irgendwie cool, und auch Krokos Freund hat mal ne witzige Sekunde, auch wenn zwischen den beiden immer nur ständige Machtbeweise, an Stelle von Sympathiebekundungen stehen) und auch die Entwicklung ist in so kleine Schritte zerlegt, dass es nie unglaubwürdig wirkt. Die Behinderten sind auch für manche Lacher gut, aber man lacht nicht über sie, sondern oft, weil sie so schön direkt und klar sagen was sie empfinden, wie man sich wünschte es selbst öfter zu können. (Thomas, als Kroko ihm ihr Kuschelkrokodil (auch schön gewählt) schenkt: (Begeistert) Ey, geil! - Ey geil! - Was soll ich'n damit? (fragend, aber vielleicht auch ironisch))
Ja, jetzt wurde ein bißchen idealisiert, bißchen schwärmen muss auch mal erlaubt sein, denn wer will denn sonst einen Film über eine Weddinger Gang-Schickse sehen?